Der omnipräsente Precht reitet seit geraumer Zeit ein neues Thema: die Zukunft der Arbeit. Und auf der Suche nach ihr – Überraschung! Überraschung! – entdeckt er die Kreativität. Das ist nur bedingt despektierlich gemeint, denn aktuell kann es nicht genug von vielen gern gehörte Stimmen geben, die ein realistisches Bild von der beruflichen Beschäftigung in den nächsten Jahren zeichnen. Das sieht nämlich mindestens so aus:
Precht und viele andere verstehen die Kreativität als DIE Fähigkeit, die den problemlösenden Menschen von den anderen Lebewesen und künstlichen Intelligenzen gleichermaßen unterscheidet; und als einzigartige Kompetenz, etwas zu erschaffen, was neu oder originell und dabei nützlich und brauchbar sein kann und damit als DIE Lösung für die o.g. dunkle Prognose. Peng! Problem gelöst!! Oder? Die einen sagen so:
Die anderen fragen so: Wieviel Kreativität braucht die Welt und kann sie im Ernstfall ertragen? Denn das meisten von ihr wird doch gar nicht zielgerichtet eingesetzt, sondern entlädt sich im Spiel oder im anderweitig ökonomisch Unfertigen. Weshalb stark zu bezweifeln ist, dass wir wirklich vor einem digitalen Taylorismus (die Maschine macht, wir denken quer) stehen? Das hört sich vielleicht oberaufgeschlaut an, aber mal ehrlich: selbst wenn man die kreativen und die automatisier– und die KI–isierbaren Aufgaben trennt und denen zuweist, die sie am besten „können“ – wie sollte man die Kreativität dann aufteilen auf alle die vielen nach neuen Aufgaben gierenden Menschen? Wie sie reglementieren, steuern, managen, die kleingehackte Kreativität!
Da ist mir der Precht doch lieber, der nicht schwarz, sondern das sieht, was realistischerweise bevorsteht: „Wir dekorieren auf der Titanic die Liegestühle um. Aber nur Liegestühle umstellen reicht nicht, wir müssen die Titanic vor dem Untergang bewahren.“ Der Philosoph fordert deshalb eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir die Lebens- und Arbeitswelt gestalten wollen und wie wir Wertschöpfung in der digitalen Welt erzielen können. Allerdings glaube ich, dass wir diskutieren können, bis der Arzt kommt. Wir können das Kommende weder aufhalten noch beeinflussen, sondern müssen – wie Jury van Geest schon vor Jahren sagte – „… learn to dance with it.“, während es (das Zukünftige) über uns herreinbricht.
Was nicht bedeutet, dass Kreativität nicht trotzdem der Schlüssel ist: denn Kreativität braucht Fähigkeiten und Konzentration. Und diese beiden sind die Basis für Flow, der als eine der stärksten Quellen von Glücksgefühlen ist, die wir gebrauchen können, wenn diesen nicht mehr oft bei der Produktion von klassischen Arbeitsergebnissen entstehen…
By the way: Das dazu passende Buch ist lesenswert!
PS.: Ich bin kein Philosoph, aber ist Kreativität wirklich das einzige Distiktionsmerkmal zwischen Mensch und KI? Was ist mit dem Erfühlen von Poesie, der Nutzung von Timing, dem Erleiden von Zweifeln? Irgendwelche Ideen?